Josef Zotter ist mehr als ein Chocolatier. Von ihm lässt sich lernen – über das Treffen von Entscheidungen, das Ausschalten der Vernunft, aufs Hören, was das Herz sagt und das Leben von Talenten. Er weiß aus Erfahrung, wie wichtig es ist, überhaupt eine Entscheidung zu treffen. Wie er damals: 1999, nachdem seine Konditorei ein paar Jahre zuvor insolvent wurde. Seine Entscheidung bestimmte nicht nur den weiteren Verlauf seines Lebens, sondern auch den der gesamten Schokoladen-Branche. Heute gilt er als der weltbeste Schokoladen-Hersteller. Dass er also mehr auf den Bauch als auf den Verstand setzt, ist auch sein Rezept für Innovationen. Und mit denen wartet er regelmäßig auf. Besonders wenn es um nachhaltiges Wirtschaften geht. Trotz dass Josef Zotter mit dem so beschäftigt ist, nahm er sich Zeit für seine Antworten.

Interview: Mascha K. Horngacher
Fotos: zotter.at

1999 haben Sie ganz auf Schokolade gesetzt. Diese Entscheidung war folgenträchtig: Welche direkten Veränderungen erlebten Sie?
Ich war gezwungen eine Entscheidung zu treffen – und da habe ich mir überlegt, wenn ich schon von vorne anfangen muss, ich war damals ja Pleite, dann möchte ich was machen, das für mich und meine Familie einen Sinn ergibt. Schokolade und Fairer Handel haben mich damals schon fasziniert, das Kaffeehaus und die Konditorei aber auch. Ich musste also entscheiden, in welche Richtung wir weitermachen sollen. So habe ich, im Nachhinein gesehen – Gott sei Dank –  nicht die Entscheidung getroffen, die sicherer war; Sondern jene, die für mich zu dem Zeitpunkt die beste Perspektive hatte. Wichtig war überhaupt eine Entscheidung zu treffen.

Sie blieben also nach der Insolvenz 1996 Ihrem Beruf als Konditor treu und die Spezialisierung 1999 war retrospektiv die riesen Chance. Dieser Prozess ist wahrscheinlich nicht einfach passiert – was stand alles dahinter? Ökonomische Notwendigkeit, Leidenschaft, Vision, Risiken…
Ja, sicher die Leidenschaft und schon auch die Notwendigkeit. Der Leidensdruck war groß genug, um eine Veränderung herbeizuführen. Deshalb haben wir „Gesamtösterreichisch“ gesehen dauernd eine Mittel-Wirtschaftskrise.
Also wenn schon mal alles dahin ist, muss man an nichts mehr festhalten. Eigentlich ist das eine totale Befreiung. Zerstörung und Wiederaufbau ist beides nicht lustig. Der Weg dazwischen ist das Lebenswerte, das Herzstück sozusagen. Ich hätte niemals ein halbwegs gut gehendes Kaffeehaus geschlossen, um plötzlich nur noch Schokolade zu produzieren. Das wäre ja ein Irrsinn gewesen, so was macht man nicht. Aber wenn das Unternehmen Schiffbruch erleidet, dann muss man neu anfangen oder aufhören. Wie im Sport: Einmal hinfallen heißt noch nicht verloren zu haben. Ganz im Gegenteil, das kann ungeahnte Kräfte freisetzen.
Das soll aber nicht heißen, dass man Pleite gehen muss, um erfolgreich zu werden! Nein, man kann auch mit Mittelmaß zufrieden sein. Das wollte ich aber nie, weil das auch nicht gerade sehr vernünftig ist. Aber Vernunft schafft auch keine Innovationen, es ist ein ewiges Hin und Her.

Auf wen haben Sie sich verlassen?
Ich habe das natürlich mit meiner Frau Ulrike durchgezogen. Aber wir waren uns „nicht einig“. Sie hätte gerne das Kaffeehaus weitergeführt – aus Sicherheitsgründen, was nach so einer Situation auch verständlich ist. Ich habe wieder das Unbekannte bevorzugt, mit dem Unterschied, doch auch auf meine Frau zu hören und sie ein wenig auf mich. Und wir haben einfach noch einmal versucht, es besser zu machen und aus den Fehlern zu lernen. Wenn eine Partnerschaft so eine Stresssituation aushält, dann ist die Liebe groß.

Und wie ist es mit den Trends? 2006 haben Sie das ganze Sortiment auf BIO umgestellt.
Trends sind nicht einfach da, sie werden irgendwo gemacht. Am besten ist, wenn man seine eigenen Trends macht, weil dann ist man schneller. Trends nachlaufen bringt nix, das macht nur müde.

Was hat die Entscheidung 1999 aus heutiger Sicht mit Ihnen gemacht?
Rückblickend hat es mich gestärkt und zum Freigeist und Andersdenker gemacht. Ich habe festgestellt, dass es Sinn macht, gelernte Strukturen zu verlassen und gegen den Strom zu schwimmen, egal was die „Anderen“ sagen. Ich bin meinem Leitsatz treu geblieben: Der Bauch ist das bessere Hirn. Wenn sich etwas für mich nicht gut anfühlt, dann mach ich es nicht. Und umgekehrt: Wenn ich von einer Sache überzeugt bin, dann mach ich das – gegen jegliche Vernunft. Vernünftig zu sein ist überhaupt das größte Hemmnis der Kreativität.

Wie entstehen neue Ideen, wie Produkte, das Bio-Weideschlachthaus, der Essbarer Tiergarten?
Das sind ja ganz unterschiedliche Themen, dazu gibt es kein „Rezept“. Wenn ich eine Idee habe, dann schreib ich sie auf und lass sie erst mal ein paar Wochen liegen. Wenn sie mich dann immer noch fasziniert, dann setzte ich alles dran, dass wir das schnell umsetzten. Bei neuen Produkten geht das relativ einfach, schnell und unkompliziert – eine Produktentwicklung können wir innerhalb kürzester Zeit umsetzen. Das ist, wie in der Küche: Wenn der Koch eine neue Rezeptidee hat, steht das Menü am nächsten Tag auf der Karte. Er weiß ja, wie es geht und schmecken soll. Und so ist das auch bei unseren Produkten.
Bei größeren Bauprojekten, wie das Schokoladentheater in Shanghai, ist das natürlich eine längerfristige Planung. Schließlich steht ja auch ein großes Investment dahinter. Manchmal würden wir gerne sehr viel schneller Akzente setzen, aber dann sind uns durch behördliche Einschränkungen die Hände gebunden, wie derzeit noch mit dem Weideschlachthaus. Und leider bin ich sehr ungeduldig, mir ist es lieber, Dinge passieren schnell.

Wie kann und wird sich ZOTTER noch verändern? Gibt es Visionen?
Wir haben keine in Stein gemeißelten Zukunftspläne
definiert – das Unternehmen muss sich mit uns und den Kindern entwickeln, nicht umgekehrt!
Und zum Glück kann ich auch nicht in die Zukunft schauen. Es weiß bis heute niemand, wie Wirtschaft genau funktioniert. Wünschen trau ich mich schon fast nix mehr, weil so viel Positives schon passiert ist. Trotzdem träume ich von einer Zukunft, in der faire, transparente Handelsbeziehungen in allen Branchen selbstverständlich sind, ordentliche Löhne gezahlt werden und Lieferanten aus nah und fern auch fair bezahlt werden können. Dass Produkte wieder mehr geschätzt und auch mit mehr Leidenschaft und Herzblut erzeugt werden, keine Massenware mehr immer und überall billigst verfügbar ist und die Wegwerfgesellschaft endlich der Vergangenheit angehört! Dass Ressourcen geschont werden, die Kreislaufwirtschaft das alte System des Erzeugen und schnell wieder Wegschmeißen ersetzt. Und dass Menschen mehr animiert werden, ihre Talente zu leben und nur noch das machen, was sie gefühlsmäßig am besten können.  Weil das ist mir, aus jetziger Sicht, am besten geglückt.

Herzlichen Dank, Herr Zotter, für Ihre Zeit und Antworten.